«Wir werden ein Dax-Niveau von 25'000 Punkten in 2028 erreichen»
Gabriel Brenna, CEO der Liechtensteinischen Landesbank, sieht insbesondere die amerikanischen Aktien als sehr hoch bewertet an. Der Vorstandschef warnt vor Übertreibungen des Marktes.
Interview mit Gabriel Brenna, Group CEO der LLB-Gruppe
Erschienen in Focus Money am 17. April 2024
Von Hans-Peter Siebenhaar
Die Höhenflüge an der Börse halten die Anleger in Atem. Wie lange braucht der Deutsche Aktienindex (Dax), um 25'000 Punkte zu erreichen?
Gabriel Brenna: Die Frage ist nicht seriös zu beantworten. Man sollte nicht einfach langfristige Renditeerwartungen in die Zukunft extrapolieren. Die Entwicklung des Dax hängt von den Gewinnperspektiven der darin gelisteten Unternehmen ab. Und die werden bekanntermaßen derzeit von hinreichend beschriebenen strukturellen Problemen der deutschen Wirtschaft gedämpft. Unterstellt man für eine Abschätzung die durchschnittliche jährliche Performance des deutschen Aktienmarkts seit 1926 von 8,2 Prozent als erwartete zukünftige jährliche Rendite, dann werden wir ein Dax-Niveau von 25'000 Punkten in knapp über vier Jahren beziehungsweise 2028 erreichen.
Was spricht aus der Sicht der Liechtensteinischen Landesbank für eine weitere starke Aufwärtsentwicklung, was spricht dagegen?
Die positive Entwicklung des Aktienmarkts wird stark von einer kleinen Anzahl von Unternehmen getragen, denen die Anleger ein kräftiges Gewinnwachstum im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz (KI) oder mit wirksamen Medikamenten gegen Fettleibigkeit vorhersagen. Ob diese Erwartungen sich als realistisch oder überzogen erweisen werden, weiß heute niemand. Diese Unternehmen sind im historischen Vergleich mittlerweile hoch bewertet. Da diese Unternehmen aber bereits heute über ein profitables Geschäftsmodell mit einer ansprechenden Cashflow-Rendite verfügen, befinden wir uns nicht in einer mit dem Jahr 2000 vergleichbaren Aktienblase. Für eine weitere Aufwärtsentwicklung sprechen eine in den USA unerwartet stabile und eine sich in Europa aufhellende Wirtschaftsentwicklung, die Aussicht auf Zinssenkungen ab der Jahresmitte sowie die Erwartung von substanziellen Produktivitätssteigerungen durch KI. Dagegen spricht die im historischen Vergleich hohe Bewertung insbesondere in den USA.
Zuletzt haben auch die Börsen in New York und Tokio Höchststände erreicht. Wie nehmen Sie die Kursrally im Frühjahr in den USA, Japan und Deutschland wahr?
Die Aktienmärkte sind mittlerweile hoch bewertet. Insbesondere die amerikanischen Aktien sind im historischen Vergleich sehr hoch bewertet. In dieser Situation untergewichten wir US-Aktien. Zentral für uns ist die Diversifikation über alle Börsen hinweg.
Wird vielen Ihrer Kunden die Rally – nicht zuletzt die Kurssteigerung des Dax – allmählich unheimlich?
Als eine Privatbank, die seit vielen Jahrzehnten vermögende Kunden berät, verfolgen wir an den Aktienmärkten eine sehr langfristige Strategie. Es gab immer wieder Übertreibungen und Untertreibungen.
Ist die Situation, in der wir uns jetzt befinden, nicht außergewöhnlich?
Natürlich haben die geopolitischen Risiken durch den Konflikt im Nahen Osten und dem Ukraine-Krieg sowie die Spannungen zwischen den USA und China im Fall Taiwans zugenommen. Durch die Präsidentschaftswahlen in den USA im November kommen weitere Herausforderungen hinzu. Die Zinswende in Europa und den USA steht unmittelbar bevor. Es gibt in der Tat viele Themen, die wir derzeit mit unseren Kunden diskutieren.
Was empfehlen Sie Ihren vermögenden Kunden in dieser komplexen Gemengelage?
Wir raten unseren Kunden, Ruhe, viel Ruhe zu bewahren. Außerdem haben politische Börsen gerade für Kunden mit einem langfristigen Anlagehorizont kurze Beine. Ich bin zutiefst überzeugt, dass ein Depot mit großer, globaler Diversifikation über verschiedene Assetklassen hinweg mittelfristig auch in unruhigen Zeiten eine stabile Rendite liefern wird. Die jüngste Auszeichnung des Lipper Fund Award in der Kategorie Overall Small Company in Deutschland bestätigt zusätzlich die Anlagephilosophie der LLB.
Und was ist mit Anlegern, die kurzfristig investieren?
Verlässliche kurzfristige Vorhersagen für die weitere Entwicklung an den Börsen oder zum Finanzmarkt insgesamt zu geben, ist nicht möglich.
Wie gefährlich ist die Inflation noch?
Zumindest in Europa, allen voran in Deutschland, scheint die Inflationsgefahr überwunden zu sein. In der Schweiz liegt sie sogar bei rund einem Prozent.
Wird im zweiten Halbjahr die große Zinswende in Europa und den USA kommen?
In den USA läuft die Konjunktur bereits rund. Auch in Europa mehren sich die Anzeichen für eine Erholung. Wir erwarten in der zweiten Jahreshälfte sowohl in den USA als auch in Europa schrittweise Zinssenkungen. Die Schweiz hat überraschend für viele Marktteilnehmer bereits einen ersten Schritt im März vollzogen. Die Notenbanken bekommen das Problem allmählich besser in den Griff. Der weitere Rückgang der Inflation wird aber harzig verlaufen. Die Börsen waren auch aus unserer Sicht Anfang des Jahres ein wenig zu optimistisch, was die Geschwindigkeit und den Umfang möglicher Zinssenkungen betrifft.
Wie attraktiv sind bei sinkenden Zinsen noch Anleihen als Alternative zur Aktie?
Die Kurse von Anleihen werden vom Zinsrückgang profitieren. Die Anleger sollten sich deswegen an die aktuell attraktiven Renditen binden. Deswegen sind Anleihen in unseren Portfolios übergewichtet. Grundsätzlich gilt, den Anleiheanteil in diversifizierten Portfolios momentan aktiver zu bewirtschaften als in früheren Zeiten.
Welche Laufzeiten von Rentenpapieren bevorzugen Sie?
Der Anleger sollte auch bei Bonds grundsätzlich diversifiziert und längerfristig denken. Wir bevorzugen aktuell den mittelfristigen Bereich mit etwa fünf Jahren Laufzeit. Bei einem bereits diversifizierten Portfolio sollte man auch in verschiedenen Währungen und Regionen investieren.
Der Dax steigt auf ein Rekordniveau, obwohl das makroökonomische Umfeld in Deutschland gedrückt ist. Zuletzt hatten sich die Stimmung und das Konsumverhalten etwas aufgehellt. Wie beobachten Sie mit Ihren Kollegen in der Schweiz und in Liechtenstein die Entwicklung?
In der Tat ist die kurzfristige Entwicklung in Deutschland nicht gerade positiv. Die starke Abhängigkeit von billigen Energieimporten, die Dependenz von China und die Deglobalisierung machen Deutschland überdurchschnittlich zu schaffen. Hinzu kommen noch strukturelle Probleme mit einer überbordenden Bürokratie, hohen Unternehmenssteuern und fehlenden Fachkräften. Trotzdem sind wir überzeugt, dass Deutschland die Talsohle im Jahr 2024 erreicht hat. Die Ursachen sind erkannt, der Wille zu Reformen wächst. Das Problem ist die große Unsicherheit bei den Bürgern. Zudem sind die im Dax vertretenden Titel von global agierenden Unternehmen. Diese haben zwar ihren Sitz in Deutschland, produzieren und verkaufen aber weltweit. Damit hängen sie an der globalen und nicht an der deutschen Konjunktur. China ist beispielsweise der größte Absatzmarkt von BMW und gleichzeitig durch das Joint Venture mit Brilliance auch die größte Produktionsstätte.
Die Liechtensteinische Landesbank hat in Deutschland in diesem Jahr drei Standorte – München, Frankfurt und Düsseldorf – eröffnet. Werden sie von der Unsicherheit in Deutschland profitieren?
Wir spüren eine große Verunsicherung bei Anlegern, die nach Sicherheit suchen. An unseren deutschen Standorten verzeichnen wir eine große Nachfrage. Wir profitieren schon eine ganze Weile von der Situation in Deutschland. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist schon länger zu spüren, wenn man auf die vergangenen zwei Jahre zurückblickt.
Wie groß ist das Kundenvermögen, das die Liechtensteinische Landesbank verwaltet? Zuletzt hatten Sie die Zahl von 87 Milliarden Schweizer Franken genannt.
Per Ende 2023 waren es 87 Milliarden Schweizer Franken, das ist richtig. Und wir wachsen kontinuierlich weiter. Das gilt für Deutschland, Österreich und die Schweiz. In Deutschland gibt es noch ein großes Potenzial an Anlegern, die wir uns erschließen wollen.
Wie können Sie bei deutschen Anlegern punkten?
Erstens ist es die Stabilität und Sicherheit, für die wir als Liechtensteinische Landesbank seit mehr als 160 Jahren stehen. Der Hauptaktionär ist das Land Liechtenstein mit einer AAA-Bonität. Liechtenstein ist zudem schuldenfrei. Die internationale Ratingagentur Standard & Poor‘s bestätigte zuletzt das Länderrating für Liechtenstein mit dem Triple-A und stabilem Ausblick. Zweitens punkten wir bei Anlegern, die nicht nur regional, sondern auch monetär diversifizieren wollen. Für sie ist der Schweizer Franken sehr attraktiv. Seit Jahrzehnten beraten wir vermögende Kundinnen und Kunden erfolgreich. Das gilt nicht nur für Liechtenstein, sondern auch für die Schweiz und Österreich. Uns ist sehr bewusst, dass wir von der Qualität unserer Dienstleistung für Anleger leben. Ein dritter Punkt ist die kulturelle Nähe zu Deutschland. Wir bringen zum einen die Kompetenz als internationale Privatbank mit, aber auch die Bodenständigkeit einer deutschsprachigen Landesbank. Unsere Stabilität und Sicherheit, Kompetenz und Kundennähe schätzen die Anleger.
Hat der Beinahezusammenbruch der Credit Suisse und die anschließend staatlich befürwortete Übernahme durch die UBS dem Standort Schweiz und indirekt auch Liechtenstein geschadet?
Noch ist es zu früh, eine Bilanz zu ziehen. Grundsätzlich sehe ich aber keinen Schaden für den Finanzstandort. Die Schweiz und Liechtenstein haben ein sehr stabiles politisches und wirtschaftliches Umfeld. Zusätzlich zur Schweiz haben wir in Liechtenstein durch unsere Zugehörigkeit zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) vollen Zugang zum europäischen Markt. Neben dem freien Marktzugang gibt es eine sehr effektive und umfassende Regulierung, die der Stabilität dient.
Ab welcher Summe betreuen Sie einen Kunden?
Grundsätzlich betreuen wir Kunden ab einer halben Million Euro. Meistens sind es jedoch eine Million bis 15 Millionen Euro. Ab dieser Größe macht es Sinn, ein individuelles, langfristig orientiertes, diversifiziertes Portfolio aufzubauen. Wenn ein Kunde bei uns Geld investiert, wird es in Liechtenstein verbucht. Dieser Vorteil wird von unserer Zielgruppe sehr geschätzt, da sie damit ihr Geld außerhalb des Euroraums anlegen kann.
Wird die künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft auch den Vermögensberater ersetzen können?
Das glaube ich nicht. Beim Geld geht es um Vertrauen. Und wenn es um Vertrauen geht, geht es schlussendlich immer sehr stark um die menschliche Komponente. Deswegen gibt es heute, aber auch morgen Privatbanken. Das heißt aber nicht, dass grundsätzlich alles gleich bleiben muss. Die Digitalisierung wird voranschreiten, uns effizienter machen und damit auch die Kundenbeziehungen verändern. Wir ermöglichen unseren Kunden, mehr Finanzgeschäfte selbst zu tätigen. Eine KI wird jedoch am Ende kein Ersatz für einen Vermögensberater sein können.
Zur Person:
Der Finanzmanager mit Schweizer und italienischem Pass ist seit März 2021 CEO der Liechtensteinische Landesbank (LLB) AG in Vaduz. Bei der LLB ist er in unterschiedlichen Positionen bereits seit knapp zwölf Jahren beschäftigt und hat das Private Banking-Geschäft vorangetrieben.
Brenna studierte an der École Polytechnique Féderalé de Lausanne und promovierte.