Neuerungen im liechtensteinischen Erbrecht

Seit dem 1. August 2024 gilt in Liechtenstein ein neues Erbrecht. Zwölf Jahre nach der letzten Reform im Jahr 2012 stehen auch in Liechtenstein die Zeichen auf Erneuerung und Modernisierung.

Das liechtensteinische Erbrecht wurde ursprünglich von Österreich übernommen, wo 2017 eine Erbrechtsreform durchgeführt wurde. Sieben Jahre später folgt Liechtenstein. Im Wesentlichen erweitert das neue Erbrecht den Handlungsspielraum des Erblassers oder der Erblasserin, der bisher durch das Pflichtteilsrecht eingeschränkt war. 

Zusätzlicher Handlungsspielraum

Eine der wichtigsten Änderungen ist die Abschaffung des Pflichtteilsrechts von Vorfahren wie Eltern und Grosseltern. Kinderlose Ehepaare können nun ihren Partner oder ihre Partnerin zum Alleinerben einsetzen, ohne auf die Ansprüche der Eltern Rücksicht nehmen zu müssen. Die Eltern können keine Pflichtteilsansprüche mehr geltend machen. Die Pflichtteile der Nachkommen und des Ehegatten oder der Ehegattin bleiben bestehen. 

Nach altem Recht mussten Pflichtteilsansprüche völlig frei von Belastungen und Beschränkungen sein, um unangefochten zu bleiben. Das neue Recht gewährt auch Zuwendungen eine pflichtteilsdeckende Wirkung, die diese Voraussetzung nicht erfüllen. Ein klassisches Beispiel ist die Übertragung eines Grundstücks an ein Kind unter Vorbehalt eines lebenslangen Nutzniessungsrechtes zugunsten des überlebenden Ehegatten oder der überlebenden Ehegattin. Früher konnte diese Zuwendung pflichtteilsrechtlich angefochten werden, weil sie nicht völlig frei von Belastungen war. Nach neuem Recht wird, wenn der Grundstückseigentümer seinen Pflichtteil geltend machen oder überprüfen will, das Grundstück bewertet und die kapitalisierte Nutzniessung abgezogen. Deckt der Restwert den Pflichtteil, kann das Nutzniessungsrecht nicht angefochten werden. Ist der Pflichtteil nicht gedeckt, entsteht ein Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dies erhöht die Sicherheit für den übertragenden Elternteil erheblich.

Gleichbehandlung von Zuwendungen unter Lebenden

Bisher wurden Zuwendungen unter Lebenden danach unterschieden, ob es sich um eine Schenkung, einen Erbvorschuss, einen Vorempfang, eine Abfindung für einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht oder etwas anderes handelte, und daran unterschiedliche Rechtsfolgen geknüpft. Dabei entsprachen die Rechtsfolgen sicher nicht immer dem erblasserischen Willen, da sich viele der unterschiedlichen Folgen nicht bewusst waren und bei Kenntnis der Umstände anders verfügt hätten. Neu werden alle Zuwendungen zu Lebzeiten, unabhängig von ihrer Form, gleichgestellt und als Schenkung definiert. Sie sind grundsätzlich auf den Nachlass anzurechnen, es sei denn, die Anrechnung wurde durch eine letztwillige Verfügung ausgeschlossen. Die Anrechnung wird auch dadurch einfacher und gerechter, dass sie auf den gesamten Pflichtteil erfolgt und nicht nur auf den Teil des Pflichtteils, der sich aus der Hinzurechnung ergibt. Es gibt aber nach wie vor Schenkungen, die von der Anrechnung beziehungsweise der Hinzurechnung ausgenommen sind. Dies sind Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen, die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers oder der Erblasserin gemacht wurden, sowie Schenkungen zu gemeinnützigen Zwecken oder aus sittlicher Pflicht.

Ein grosses Problem, nämlich die Bewertung einer Zuwendung unter Lebenden, wurde dadurch gelöst, dass der Wert der zugewendeten Sache zum Empfangszeitpunkt bestimmt wird. Dieser Wert ist auf den Todeszeitpunkt nach dem schweizerischen Landesindex der Konsumentenpreise anzupassen. Alle anderen wertverändernden Umstände zwischen dem Zeitpunkt der Zuwendung und dem Todeszeitpunkt (z.B. Erschliessung von Grundstücken, Preisänderungen, Schadensereignisse usw.) sind nicht zu berücksichtigen.

Sonstige Änderungen

Die dargestellten Änderungen sind nicht abschliessend. Das neue Erbrecht bringt noch weitere Neuerungen, wie zum Beispiel das Pflegevermächtnis, die Erleichterung der Pflichtteilsminderung auf die Hälfte, angepasste Enterbungs- und Erbunwürdigkeitsgründe, angepasste Formvorschriften und vieles mehr.

Fazit der Neuerungen

Insgesamt ist das revidierte Erbrecht ein erfreulicher weiterer Schritt in Richtung eines moderneren Erbrechts. Welche Auswirkungen die Änderungen auf die eigene Nachlassplanung haben, muss im Einzelfall geprüft werden. Teilweise eröffnet das neue Erbrecht neue Gestaltungsmöglichkeiten.

Portrait Birgitta Gassner
Dr. Birgitta Gassner, Finanzplanung und Steuern, Liechtensteinische Landesbank AG