China leitet Kehrtwende ein

Seit Dekaden war man in China zweistellige Wachstumsraten gewohnt. China hat sich seit der Öffnung seiner Wirtschaft in den 1980er-Jahren nach den USA zur zweitgrössten Volkswirtschaft entwickelt. Gemäss der ökonomischen Theorie geht mit dem höheren Entwicklungsstand eines Landes ein schwächeres Expansionstempo der Wirtschaftsleistung einher. In China konnte dieser Prozess vor der Pandemie beobachtet werden. Der Ausbruch der Pandemie stellte eine schmerzhafte Zäsur dar. Im letzten Jahr hat die Regierung mit einem BIP-Wachstum von 3 Prozent ein weiteres Mal das angestrebte Wachstumsziel von 5.5 Prozent verfehlt. 

Die kürzlich stattgefundene Tagung des Nationalen Volkskongresses (NVK), der gesetzgebenden Körperschaft Chinas, markiert eine Kehrtwende in der chinesischen Wirtschaftspolitik. Nach drei Jahren einer von der Realität abgehobenen "Null-Covid-Strategie" lassen sich die Ergebnisse des jüngsten NVK als Sieg der ökonomischen Vernunft interpretieren. Nach der abrupten Aufgabe der "Null-Covid-Strategie" im Dezember 2022 steht die Regierung einem schwierigen ökonomischen Umfeld gegenüber. Zwar lässt sich mit dem Blick auf die Einkaufsmanagerindizes und Kreditvergabe eine Belebung der Konjunktur ausmachen, aber die Erholung bleibt bis jetzt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Entgegen den bisherigen Traditionen hat sich die Regierung für ein umsichtiges Vorgehen in der Wirtschaftspolitik entschieden. Für 2023 wurde ein bescheidenes Wachstumsziel von rund 5 Prozent beschlossen. Die Entscheidungsträger tragen damit den zuletzt manifestierten strukturellen Ungleichgewichten im Inland wie der hohen Gesamtverschuldung, der anhaltenden Immobilienkrise und der alternden Bevölkerung Rechnung. 

Zudem ziehen sie die ungünstigen Entwicklungen im Ausland in Betracht. Im Aussenhandel spielt der ökonomische und politische Wettbewerb mit den USA eine immer stärkere Rolle. Der Zugang zur Spitzentechnologie wird China im Rahmen dieses Wettbewerbs zunehmend verwehrt. Deutschland hat seine Haltung gegenüber chinesischen Komponenten im Telekommunikationssektor geändert. Nun zeichnet sich ein Verbot der von Huawei und ZTE gelieferten Technik ab. Die Niederlande haben dem Druck der USA nachgegeben und kürzlich angekündigt, den Export der Maschinen zur Herstellung von Mikrochips im Nanobereich nach China zu untersagen.

Vor diesem Hintergrund räumt der NVK der Partizipation Chinas an der technologischen Entwicklung hohe Priorität ein. Das hierfür zuständige Ministerium wird mit dem Fokus auf die Förderung von Hochtechnologie und Innovationen umgebaut. Zudem wird die Digitalisierung forciert, um weitere Fortschritte in der "Plattformwirtschaft" zu erzielen. Überdies soll die Regulierung der Privatunternehmen vereinheitlicht und die vorhandenen Überlappungen in den Kompetenzen regionaler Behörden reduziert werden. Die aus den strukturellen Ungleichgewichten resultierenden Risiken für die heimische Wirtschaft möchte man eindämmen. Die anvisierten Staatsausgaben sollen lediglich ein unterdurchschnittliches BIP-Wachstum verhindern. Man hat aus den Fehlern im Umgang mit der Finanzkrise von 2008 bis 2009 gelernt. Der Glaube an ein Wachstum um jeden Preis gehört in China der Vergangenheit an. Die Qualität der Wirtschaftsentwicklung rückt in den Mittelpunkt der Politik. Dabei soll die Widerstandsfähigkeit der heimischen Wirtschaft gegenüber möglichen Schocks erhöht werden. Ein ausgeprägter Aufschwung in China ist somit nicht zu erwarten. Damit dürfte der vom Aussenhandel ausgehende Impuls für die europäische Wirtschaft zu klein ausfallen. Die an den chinesischen Kapitalmärkten erfolgte Rallye könnte demnächst eine Korrektur erfahren. Eine nennenswerte Aufwertung des chinesischen Renminbis gegenüber dem US-Dollar ist in nächster Zeit wenig wahrscheinlich.

Portrait Waldemar Lukas
Waldemar Lukas, Researcher, LLB Asset Management AG, Vaduz.

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