Das Comeback der Fiskalpolitik

Um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu mildern, haben die Regierungen die Staatsausgaben ausgeweitet. Die Staatsschuldenquoten sind daher in den Industrieländern markant gestiegen − vor allem in der Eurozone. Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat das europäische Sicherheitsgefüge verändert. Die EU-Länder müssen für ihre Sicherheit mehr ausgeben. Die Gewährleistung der Energieversorgung bei gleichzeitiger Reduktion russischer Energieimporte geniesst Priorität. Der Übergang zu erneuerbaren Energieträgern muss nun beschleunigt werden.

Um diese Ziele zu erreichen, werden beträchtliche Finanzmittel benötigt. Deutschland wird kurzfristig 100 Milliarden Euro für die Armee ausgeben. Zudem werden die Verteidigungsausgaben wie in der NATO vorgesehen auf 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts erhöht. Andere EU-Mitglieder wollen Deutschlands Beispiel folgen. Für die Reduktion der russischen Energieimporte und die forcierte Energiewende hat die deutsche Regierung bis 2026 zusätzliche rund 200 Milliarden Euro vorgesehen. Aufgrund der zurückhaltenden Fiskalpolitik vor der Pandemie kann sich Deutschland diese Staatsausgaben leisten. Viele Mitglieder der EU werden das aber nicht allein stemmen können. Es zeichnet sich ein gemeinsames Vorgehen ab. Frankreich hat einen EU-Fonds zur Finanzierung der neuen Militärausgaben und zur Bewältigung der Energiepreise vorgeschlagen, die in Europa markant gestiegen sind. Eine Aussetzung der Fiskalregeln für 2022 und 2023 ist naheliegend. Die EU wird vorerst grössere Ausgaben tätigen. Eine nachhaltige Reduktion der Schuldenstände rückt in weite Ferne.

Die Europäische Zentralbank (EZB) befindet sich in einem Dilemma. Die Pandemie zog eine grundsätzliche Verhaltensänderung der Konsumenten nach sich − den grösseren Bezug von Gütern anstelle von Dienstleistungen. Die resultierenden Preissteigerungen werden durch die gestörten Lieferketten verstärkt. Mit dem Krieg in der Ukraine und den vom Westen gegen Russland verhängten Sanktionen verlieren zwei wichtige Exporteure von Energie- und Agrarrohstoffen den Zugang zum Weltmarkt. Rohstoffknappheiten sind vorprogrammiert. Sie spiegeln sich im kräftigen Auftrieb der Rohstoffpreise wider, die den Preisauftrieb in der Eurozone weiter anheizen werden. Auf dieses Inflationsumfeld müsste die EZB mit einer restriktiven Geldpolitik reagieren. Ein abrupt eingeleiteter Kurswechsel würde jedoch die wirtschaftliche Erholung seit der Coronapandemie abwürgen und gleichzeitig Zweifel an der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen der hoch verschuldeten Peripheriestaaten schüren.

Nun rächt sich, dass die EZB im Gegensatz zur Bank of England keine Strategie für den Ausstieg aus der unkonventionellen Geldpolitik vorgelegt hat. Zudem hat die EZB zu lange an der expansiven Geldpolitik festgehalten. Zwar hat sie kürzlich einen schnelleren Ausstieg aus den Anleihekäufen angekündigt, aber dies wird nicht zur Dämpfung der Preisteuerung beitragen. Kurzfristig wird die EZB kaum etwas gegen die hohe Inflation ausrichten können. In der mittleren Frist bestehen erhebliche Zweifel, ob die EZB ihr Mandat der Preisstabilität tatsächlich erfüllen kann.

Die Geldpolitik kann die Fiskalpolitik als Hauptsäule der Wirtschaftspolitik nicht ersetzen. Das haben die Schocks der letzten Jahre bestätigt. Die Geldpolitik ist hauptsächlich zur konjunkturellen Stabilisierung geeignet. Die EZB wird die Geldpolitik nur graduell straffen können. Ihr Vorgehen wird für die Konjunktur in der Eurozone in den nächsten Jahren eine untergeordnete Rolle spielen. Die Fiskalpolitik wird angesichts der gewaltigen Aufgaben wie Sicherheit, Energiewende und Klimawandel, Digitalisierung und Alterung der Gesellschaft in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik rücken. Die Inflation wird daher in den nächsten Jahren auf erhöhtem Niveau bleiben.


Portrait Waldemar Lukas
Waldemar Lukas, LLB Asset Management AG, Vaduz.

Rechtlicher Hinweis: Angaben im Sinne der Finanzanalyse-Vorschriften (Gesetz, Verordnung) finden Sie unter Rechtliche Bedingungen.