Inflation ausser Kontrolle?

"EZB-Gewerkschaft will mehr Geld – ausgerechnet wegen Inflation!" Wenn das keine Schlagzeile zum Schmunzeln ist. Es bedarf schon ein gewisses Mass an Ironie, wenn das Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht einmal in der Lage ist, die eigene Belegschaft vom temporären Charakter der erhöhten Preissteigerungsraten zu überzeugen.

Diese Schlagzeile bringt das aktuelle Spannungsfeld recht anschaulich auf den Punkt. Mit der rasanten wirtschaftlichen Erholung haben sich neue Spätfolgen der Coronakrise gezeigt – die anspringende Nachfrage traf auf eine zunehmende Knappheit an Vorprodukten und Rohstoffen. In der Folge schossen die Konsumentenpreise in vielen Volkswirtschaften weit über die Ziele der Zentralbanken hinaus.

Bis anhin ist ein Teil der Marktteilnehmer der Argumentation der Zentralbanken gefolgt und glaubt an einen temporären Charakter. Doch mit jeder weiteren Verzögerung beim erwarteten Rückgang der Preissteigerungsraten wird der Anteil der Skeptiker zunehmen. Das hat mittlerweile zu rekordhohen Inflationserwartungen geführt, wie man beispielsweise an der Entwicklung der Break-Even-Raten von inflationsgeschützten Anleihen sehen kann. Während immer mehr Zentralbanken, wie das Fed, bereits mit dem Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik begonnen haben, hält die EZB weiter an ihr fest.

Chart Inflation ausser Kontrolle?

Nach der ausserordentlich starken Performance der inflationsgeschützten Anleihen 2021 ist schon sehr viel eskomptiert. Wegen der Kombination aus rekordtiefen Realzinsen und sehr hohen Inflationserwartungen sind kaum noch Kurspotenziale zu sehen. Eine Korrektur der Realrenditen ist überfällig – vor allem in den Volkswirtschaften, wo die Zentralbanken aus der ultraexpansiven Geldpolitik aussteigen. Da Linker allerdings tendenziell längere Laufzeiten haben, würde das zu ausgeprägten Preisrückschlägen führen. Es gibt aber auch ein inflationäres Szenario, bei dem die Inflation deutlich hartnäckiger auf dem erhöhten Niveau bleibt − getrieben durch Zweitrundeneffekte, insbesondere durch einen allgemeinen Anstieg des Lohnniveaus. Und das ist auch die entscheidende Frage, welche die Marktteilnehmer aktuell beschäftigt: Werden die Lieferkettenengpässe rechtzeitig beseitigt, um den Zweitrundeneffekten vorzubeugen?

Anders als die EZB-Angestellten sehen die LLB-Anlageexperten das inflationäre Szenario nicht als wahrscheinlicher an. Lohnsteigerungen dürften vor allem in den Branchen mit Personalknappheit zu beobachten sein. Die Desinflationsphase ist wahrscheinlich zu Ende. Mittelfristig sind höhere Teuerungsraten nicht auszuschliessen. Die Belege für einen anhaltenden Inflationszyklus sind aber noch schwach. Es ist deshalb noch zu früh, die Anlagepolitik auf ein Inflationsszenario auszurichten. Inflationsgeschützte Anleihen gehören zwar auch 2022 in jedes Portfolio, aber nur noch als Absicherung gegen eventuelle Zweitrundeneffekte. Die LLB hat inflationsgeschützte Anleihen deshalb untergewichtet.

Portrait Mirko Mattasch
Mirko Mattasch, LLB Asset Management AG, Vaduz.

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