"Tesla und Rivian würden wir nicht zum Kauf empfehlen"

Was hält LLB-Experte Christian Zogg von Rivian und Tesla? Und was sagt er zur Angst vor Inflation und den Sorgen um China? Antworten im Interview.

Interview mit Christian Zogg, Stv. Geschäftsführer der LLB Asset Management AG

Erschienen in der Online-Ausgabe der "Handelszeitung" am 21. November 2021.

Von Marc Bürgi

Uns interessiert Ihre Haltung gegenüber drei E-Auto-Titeln: Was können Sie zu Volvo, Tesla und Rivian sagen?

Wird Rivian der neue Tesla am Aktienmarkt, scheint sich wohl manch ein Anleger zu fragen. Wirft man einen Blick auf die Bewertung des gerade neu am US-Aktienmarkt gelisteten Unternehmens, könnte man dies erwarten. Ein Unternehmen ohne Umsatz, mit rund 3000 Mitarbeitern und einem (Start-)Verlust von rund USD 1.6 Mrd. im laufenden Jahr bringt eine Börsenbewertung von aktuell USD 153 Milliarden auf die Waage.

Zum Vergleich: General Motors mit einem Umsatz von USD 130 Milliarden, einem Konzerngewinn von über USD 11 Milliarden und 155'000 Mitarbeitern wird mit USD 90 Milliarden bewertet. Mit der Ankündigung des Autovermieters Hertz, 100'000 Teslas zu bestellen, erreichte der Aktienkurs zwischenzeitlich über USD 1200, entsprechend einer Börsenkapitalisierung von über USD 1.2 Billionen!

Die Twitter-Eskapaden von Elon Musk führten allerdings zuletzt zu einem veritablen Kursrücksetzer. Beide Unternehmen würden wir nicht zum Kauf empfehlen. Volvo hat sich ebenfalls komplett einer E-Car-Strategie verschrieben. Der Titel wird zu ähnlichen Bewertungen wie andere Autobauer gehandelt. Als Beimischung in einem diversifizierten Aktienportfolio finden wir Volvo kaufenswert.

Was sind Ihre Erwartungen für Chinas Märkte, welche Strategie verfolgen Sie dort?

China gehört bei uns zur Gruppe der Schwellenländeraktien, die einen festen Platz in jeder Strategie mit einem Aktienbestandteil haben. Das neutrale Gewicht von chinesischen Aktien innerhalb dieser Gruppe mit rund 34 Prozent ist sehr dominant. Der chinesische Aktienmarkt war 2021 für Anleger eine Enttäuschung.

Es war vorauszusehen, dass die chinesische Regierung beziehungsweise die Zentralbank den Kreditzyklus verlangsamt, um ein Überborden der Schulden im Privatsektor, wie im Immobilienmarkt gesehen, zu bremsen. Das macht aus unserer Sicht Sinn und dürfte sich bereits 2022 auch wieder etwas normalisieren. Was für den Anleger völlig überraschend dazu kam, war eine teilweise massive Regulierung und Einschränkung in verschiedenen Sektoren, die in den vergangenen Jahren zu einem positiven Wachstum und einer Öffnung des Kapitalmarktes beitrugen.

Im Moment ist nicht absehbar, wohin die Reise geht. Wir empfehlen unseren Kunden für 2022 deshalb ein deutliches Untergewicht in chinesischen Dividendenpapieren.

Hundert minus das Lebensalter sollte den Aktienanteil ergeben. Hat diese alte Börsenregel heute noch Gültigkeit?

Mit diesem Grundsatz bin ich in meiner Ausbildung (vor über 35 Jahren) zum ersten Mal konfrontiert worden. Der zweite Teil dieser Regel beinhaltet aber, dass der andere Teil des Portfolios in festverzinslichen Papieren gehalten werden sollte, die einen zwar bescheideneren, aber immer noch messbaren Beitrag zu einer positiven Performance beitragen sollten.

Aus heutiger Sicht würden wir die Regel so uminterpretieren, dass ein Anleger eine Aktienquote halten kann, die ihm immer noch genügend Liquidität lässt, um all seinen normalen Verpflichtungen jederzeit nachzukommen.

Man muss die Wertschwankungen eines gut diversifizierten Aktienportfolios allerdings auch in Krisenzeiten aushalten können, dafür wird man längerfristig mit einer überlegenen Performance belohnt. In der Tendenz kann man sagen, dass je mehr Vermögen vorhanden ist, umso mehr kann man von dieser Regel abweichen.

Der chinesische Aktienmarkt war 2021 für Anleger eine Enttäuschung.

Die Inflation ist am Steigen. Sind Obligationen darum wieder attraktiv – und wenn ja, welche?

Tatsächlich, die Inflation steigt, und zwar recht rasant, aber die Obligationenzinsen bisher praktisch überhaupt noch nicht. Die seit der Finanzkrise 2008 aufgesetzten Kaufprogramme für Obligationen durch die grossen Zentralbanken führen dazu, dass für normale Anleger diese Märkte kaum noch investierbar sind.

Ein Anleger der in Staatsobligationen (USA, Europa oder Schweiz) investiert, nimmt von Beginn weg eine negative Real- oder sogar Nominalrendite in Kauf – attraktiv ist das bestimmt nicht. Hochqualitative festverzinsliche Papiere haben im Portfolio nur noch die Funktion des Stossdämpfers, um überhaupt eine positive (Real-)Rendite zu erzielen, muss man Bonitätsrisiken in Kauf nehmen.

Hier sehen wir primär Schwellenländeranleihen als Möglichkeit, allenfalls ein sehr gut diversifiziertes Portfolio mit "High-Yield-Obligationen". Das kommt einem Aktienportfolio in Bezug auf die Risiken aber schon sehr nahe.

Wechseln wir zum allgemeinen Börsengeschehen:  Wie stark beschäftigt die Coronakrise die Finanzmärkte noch?

Noch gehen die Kapitalmärkte mit den neuesten Entwicklungen, vor allem in Europa, gelassen um. Das Jahr 2021 war an den Aktienmärkten von einer ausgesprochenen Dynamik mit einem globalen Gewinnwachstum von rund 50 Prozent geprägt. Die Weltwirtschaft hat sich 2021 vom Coronaschock weitgehend erholt, wobei die wirtschaftliche Entwicklung regional sehr unterschiedlich verlaufen ist.

Engpässe bei den globalen Transportkapazitäten und in den produzierenden Lieferketten haben die Erholung teilweise deutlich gebremst. In einigen grossen Volkswirtschaften hat das Bruttoinlandprodukt deshalb das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht. Die Weltwirtschaft wird sich 2022/23 höchstwahrscheinlich weiter vom Coronaschock erholen.

Die Prognosen stützen sich unter anderem auf die Annahme, dass die privaten Haushalte entsparen, um die Nachholeffekte insbesondere bei Freizeit- und Tourismusdienstleistungen zu finanzieren.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?

Seit Jahresbeginn hat der breite Schweizer Aktienmarkt gemessen am Swiss Performance Index (SPI) etwas über 20 Prozent zugelegt. Insbesondere ab Beginn Oktober zeigte sich das Börsengeschehen wieder sehr dynamisch.

Wir gehen davon aus, dass damit das Jahresendrally bereits in vollem Gange ist und erwarten bis Jahresende eine etwas langsamere Gangart. Grundsätzlich erwarten wir auch zu Beginn 2022 freundliche Aktienmärkte, wenn auch nicht mehr so fulminant wie 2021.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?

Wir sehen den SMI in einem Jahr in einer Bandbreite von 13'250 bis 13'750 Punkten.

Porträt Christian Zogg
Christian Zogg ist Stv. Geschäftsführer der LLB Asset Management in Vaduz und verantwortlich für den Bereich Equity & Fixed Income der LLB-Gruppe.